Man fürchtet, dass das Alter deprimierend sein könne,
dass es die Menschen in zunehmende Lethargie verfallen, wenn ihre geistige und
körperliche Fitness nachlässt und ihre Freunde und Verwandte sterben. All das
war es nicht, was dafür sorgte, dass Peter Adolf Fischer nicht in Bestlaune
war. Er befand schlicht, dass man sich ja auch keinerlei Mühe gab, es seiner
Generation ein wenig gemütlich zu machen. Das Essen jedenfalls sah wenig
appetitlich aus und schmeckte genauso – nach nichts. Da war es ja kein Wunder,
wenn man stets schlecht gelaunt war. Er aß dann auch nur wenige Bissen –
besonders hungrig wurde man ja hier schließlich nicht, das Altenheim bot zwar
Gymnastikkurse an, doch die waren kaum als körperlich anstrengend zu
bezeichnen. Da ging er schon lieber Spazieren, zumindest solange, bis
irgendeine der Schwester der Ansicht war, er stünde kurz vor einem Herzinfarkt
und ihn zurück ins Heim holte – nicht, dass er jemals tatsächlich vor einem
Infarkt gestanden hätte, er war bloß ein bisschen außer Puste gewesen. Doch die
dummen Gänse hatten ja keine Ahnung, ebenso wenig wie Schwester Carlotta, die kam
um seinen Teller wieder fortzubringen, wobei sie ihn mit einem falschen, aber
professionellen Lächeln fragte, ob es ihm denn nicht geschmeckt habe. „Haben Sie
den Fraß mal probiert, Fräulein? Natürlich schmeckt das nicht!“, erwiderte er
grummelnd und sie räumt seinen Teller kommentarlos fort. Sie mochte ihn nicht,
niemand hier mochte sie und auch er mochte niemanden. Das war stets so gewesen,
er war kein Mensch zum gern haben, das wusste er.
Es war anders gewesen, damals, als seine Frau noch gelebt
hatte. Sie hatte es vermocht, ihn gern zu haben, mehr noch, sie hatte es sogar
geschafft, ihn zu einem Menschen zu machen, den andere mochten. Seit sie vor
zwei Jahren jedoch verstorben war, sah er das Leben verbitterter denn je. Er
hatte es nie leicht gehabt, als Jugendlicher war er im Zweiten Weltkrieg
gewesen, hatte in der Kälte Russlands für die Nazis kämpfen müssen, deswegen
aber nie eine vernünftige Schulbildung erhalten und später stets
Schwierigkeiten im Berufsleben gehabt. Als er Eva, seine Frau, kennengelernt
hatte, wurde es besser, dann erlitt sie jedoch eine Fehlgeburt und konnte
anschließend keine Kinder mehr bekommen, sodass sie kinderlos blieben. Es hatte
ihn nicht so sehr gestört, solange er sie gehabt hatte, erst, seit Eva
gestorben war, war ihm wirklich bewusst geworden, wie einsam und freudlos das
Leben ohne sie war. Nun erhielt er nur hin und wieder Höflichkeitsbesuche von
seinen beiden Neffen, doch hatte er keine enge Bindung zu ihnen. Im Grunde
genommen war das Leben zusammengeschrumpft auf ein Warten auf den Tod.
Er beschloss, die Warterei zu verkürzen und zu einem
erneuten Spaziergang in den Garten des Altenheims aufzubrechen, eben einer
jener Spaziergänge, die ihm laut Personal sicher eines Tages einen Herzinfarkt
bescheren würden. So stand er also, sich an der Tischkante festklammernd, auf
und wankte hinüber zu seinem Rollator, dessen Bremsen er löste ehe er langsam
darauf gestützt losging, zum Fahrstuhl um damit ins Erdgeschoss zu fahren. Doch
er schaffte es nicht einmal bis dahin. Im Flur lief ihm Henriette Meyer über
den Weg, ihres Zeichens bereits 87 Jahre alt und schwer dement. Deswegen vergaß
sie auch immer, dass sie ihn nicht mochte und sprach ihn zwei bis drei Mal am
Tag an, ehe sie sich erinnerte und ihn wieder in Ruhe ließ – solange, bis sie
es erneut vergaß. Da sie vergessen hatte, dass er sie beim Frühstück
angeschrien hatte, fasste sie ihn nun vertrauensvoll am Arm und sagte:„Ach, Winfried,
schön dich wiederzusehen!“ Peter grummelte und unterließ es, sie darauf
hinzuweisen, dass er Peter hieß – das hätte sie ja doch nur wieder vergessen. Sie
nahm sein Brummeln jedenfalls als Zustimmung die Unterhaltung fortzuführen und
fragte:„Hast du vielleicht meine Brosche gesehen? Die Schöne, aus Elfenbein?“ „Nein,
hab ich nicht.“, erwiderte Peter und hoffte, nun in Ruhe gelassen zu werden.
Wenn er doch nur schneller gehen könnte, dann hätte er den Aufzug – nein,
besser, die Treppe! – schon erreicht. So dauerte es länger und die Meyer konnte
problemlos mithalten. Sie befand nämlich keineswegs dass das Gespräch damit
beendet sei. „Niemand hat sie gesehen! Alle habe ich gefragt und keiner weiß,
wo sie ist!“, jammerte sie, „Jemand muss sie gestohlen haben, da bin ich
sicher!“ Peter brummelte wieder etwas, ohne dass er selbst bemüht gewesen wäre,
diesem Brummen einen semantischen Sinn zu geben. Er befand, dass die Brosche
bestimmt nicht gestohlen worden war, sondern dass die Meyer sie nur verlegt
haben dürfte, wie üblich. Aber sie würde sich mit seinem Brummen begnügen
müssen, das konnte sie dann deuten, wie sie wollte.
Er hatte den Aufzug mittlerweile erreicht, drückte den
Knopf um ihn zu rufen unnötig oft und starrte stur an der Meyer vorbei. Warum
ging die denn nicht weg? „Glaubst du, du könntest mir bei der Suche nach dem
Dieb helfen?“, fragte sie und machte keinerlei Anstalten, vom Erdboden zu
verschwinden. Mühsam schluckte Peter die Erwiderung, dass es mit Sicherheit
keinen Dieb gebe, hinunter und betrat stattdessen den in diesem Augenblick
eintreffenden Fahrstuhl, wobei er so stehen blieb, dass sie ihm nicht folgen
konnte und drückte energisch den Knopf, der die Türen schloss. Allein im
Fahrstuhl seufzte er. Endlich Ruhe! Er hasste es hier zu sein, viel lieber wäre
er bei sich zuhause wohnen geblieben, doch selbst ihm war klar, dass das nicht
möglich war. Er hatte es nicht mehr geschafft, sich um den Haushalt zu kümmern
oder auch nur das Essen zu kochen. Es waren seine Neffen, die ihn darauf
hingewiesen hatten, dass ein Altenheim vielleicht eine angemessene Lösung sein
könnte. Damals hatte er das auch gefunden. Da hatte er aber noch nicht gewusst,
wie das Leben im Heim sein würde. Natürlich hatte er mit lauter alten Menschen
gerechnet, aber er hatte gedacht, dass zumindest einige von ihnen noch alle
Sinne beisammen hatten und nur körperlich ein wenig gebrechlich waren. Leider
waren die meisten auf seiner Station jedoch geistig alles andere als auf der
Höhe, sodass er niemanden hatte, man dem er hätte reden können – und so wurde
er immer missmutiger. Auch der Wind, der ihn bei seinem Spaziergang –
absolviert in noch schnellerem Tempo als sonst schon – entgegenschlug, änderte
wenig daran.
Diesmal war es nicht Schwester Carlotta, sondern der
Regen, der ihn zur Umkehr zwang, nachdem er den Garten zum dritten Mal umrundet
hatte. Er begab sich in den Aufenthaltsraum, einen großzügig und hell
geschnittenen Raum mit moderner Kunst an der Wand, hässliches Geschmiere, wie
Peter fand. Er ließ sich in seinen angestammten Platz an den Gruppentischen
nieder und war froh, weit weg von Frau Meyer zu sitzen, die grade ein paar
anderen Heimbewohnern die Geschichte mit ihrem angeblich gestohlenen Schmuck
erzählte. Offenbar war sie da auf dankbarere Ohren gestoßen. Zufrieden, in Ruhe
gelassen zu werden, nahm er sich einen Filterkaffee und wollte sich grade
zurücklehnen um an bessere Zeiten zu denken, als er erneut in seiner Ruhe
gestört wurde. Es war Kai Theißen, der neuste Heimbewohner und deswegen stets
auf der Suche nach neuen Bekanntschaften. Den Versuch, sich mit Peter
anzufreunden, hatte er offenbar noch nicht aufgegeben. Als er sich zu ihm
setzte, starrte Peter stoisch an ihm vorbei in der Hoffnung, dass er den
Hinweis verstünde und sich wieder verzog.
Doch Theißen hatte ein sonniges Gemüt. Er blieb
selenruhig sitzen, machte ein paar Bemerkungen zum Wetter und zum Kaffee und
kam schließlich auf die Meyer und ihre verschwundene Brosche zu sprechen. Hier
endlich erlaubte Peter sich eine abfällige Bemerkung über das
Erinnerungsvermögen der Angesprochenen. Theißen aber stimmte nicht zu, im
Gegenteil fand er, dass man ihren Behauptungen Glauben schenken solle, denn er
selbst vermisse ebenfalls eine Uhr – und da er diese normalerweise immer am
Handgelenk trage, könne er sie doch eigentlich kaum verlegt haben, oder? Das
müsse ja nichts heißen, befand Peter, aber er kannte Theißen noch nicht lange
genug um sein Erinnerungsvermögen einschätzen zu können. Er grummelte also
unverbindlich etwas vor sich hin und war froh, als das Abendessen aufgetragen
wurde und er sich mit etwas anderem beschäftigen konnte. Zum tausendsten Mal
wünschte er, seine Frau wäre noch da. Er vermisste sie jeden Tag aufs Neue und
obwohl er wusste, dass es ungerecht war, so zu denken, so war er doch wütend
auf all‘ jene, mit denen das Leben gnädiger verfahren war.
Wie immer schlief er schlecht in dieser Nacht und
brauchte seine tägliche Ration an Schlaftabletten, die er mithilfe von
Schwester Miriam einnahm, damit er sie nicht mit den zahlreichen anderen
Tabletten, die zu nehmen er genötigt war, durcheinanderbrachte. Um neun aber
war er fertig gewaschen und versorgt und nicht viel später darauf taten die
Schlaftabletten ihre Wirkung.
Offenbar hatten weder Meyer noch Theißen dieses Mal
Gedächtnislücken sondern ausnahmsweise waren sie schlicht und ergreifend im
Recht, wie Peter am nächsten Tag feststellen musste als zwei weitere
Heimbewohner über verschwundene Wertgegenstände klagten. Sogleich begann das
gesamte Heim darüber zu munkeln. Die Schwestern durchsuchten die Zimmer der
betroffenen, doch sie konnten die entsprechenden Gegenstände nicht finden, was
sie allerdings weiterhin nicht zu der Annahme führte, es sei ein Diebstahl
vorgefallen, vielmehr gingen sie von der Vergesslichkeit alter Menschen aus und
verwiesen darüber hinaus darauf, dass sie ohnehin keine Zeit für dererlei
Lappalien hätten, nicht bei dem wenigen Personal und der schlechten Bezahlung,
da seien sie froh, wenn sie überhaupt ihr Arbeitspensum schafften und könnten
sich nicht auch noch mit so etwas befassen. Damit war der Fall für sie
abgeschlossen und die Polizei wollten sie auch nicht benachrichtigen, immerhin
hatten die sicher besseres zu tun, als nach verlegten Broschen, Ketten und
Uhren zu suchen.
Dermaßen im Stich gelassen sahen die Heimbewohner sich
auf sich allein gestellt und begannen also auf eigene Faust zu ermitteln, wobei
diese Ermittlungen hauptsächlich darin bestanden, über einer Tasse Kaffee zu
sitzen und wilde Spekulationen anzustellen. Hauptsächlich wurde natürlich
darüber diskutiert, wer der Schuldige sein könnte, allerdings gab es da nur
wenige Anhaltspunkte. Die fehlenden Stücke waren bei niemandem gesehen worden
(ausgenommen Frau Meyer, die fest überzeugt war, gestern gesehen zu haben wie
der vor vier Jahren verstorbene Rainer Fuß mit ihrer Brosche den Flut entlang
schlich) und da die Bestohlenen zum Zeitpunkt des Diebstahls jeweils im
Gemeinschaftsraum gewesen waren, gab es auch für den Diebstahl selbst keine
Zeugen. Aus diesem Grund gingen die Mutmaßungen hauptsächlich nach Sympathien
und Peter musste sich nicht an der Diskussion beteiligen um zu wissen, dass
sein Name des Öfteren fallen würde.
Ob er es nun wollte oder nicht, so schweiften seine
Gedanken doch immer wieder zu den Diebstählen. Im Grunde genommen kannte er die
meisten hier und eigentlich traute er niemandem so recht einen Diebstahl zu.
Die meisten lebten schon seit einigen Jahren hier und selbst wenn sie etwas
mitgehen ließen, was hin und wieder vorkam, so doch niemals aus Bosheit sondern
aus schierer Vergesslichkeit. Doch vier Diebstähle… das klang nach Absicht. Auf
den Rollator gestützt spazierte er durch den Garten und dachte nach, sodass er
heute langsamer als normalerweise unterwegs war. So wenig er sich mit dem
Großteil der Heimbewohner auch verstand, so wenig hielt er sie für schlechte
Menschen und glaubte deswegen nicht, es sei einer von ihnen gewesen. Dann waren
da noch jene, die zu bettlägerig waren, um überhaupt einen solchen Diebstahl
begehen zu können. Aber außerdem noch einige, die erst vor kurzem eingezogen
waren, und eben diese konnte er nicht richtig einschätzen, nicht sagen, ob
ihnen eine Kriminalität zuzutrauen war. Von den drei Neuen verdächtigte er
jedoch nur zwei, denn da Theißen ebenfalls bestohlen worden war, war es doch
eher unwahrscheinlich, dass er der Dieb war.
Also zu Barbara Keller und Holger Vogt. Da er alles
andere als ein geselliger Typ war, hatte er sich nicht sonderlich mit ihnen
befasst, aber immerhin den Anstand besessen, einige kurze Worte mit ihnen zu
wechseln um sie nicht völlig vor den Kopf zu stoßen – es war ja nicht so, als
hasse er andere Menschen aus Prinzip, er tat sich nur so schwer damit, sich auf
sie einzulassen. Es brauchte einen anderen Menschen, der den weichen Kern unter
der harten Schale erkannte und ihm Zeit ließ, diesen zu zeigen – also Menschen,
wie seine geliebte Eva. So jemanden würde er nicht noch einmal treffen, dessen
war er sich sicher. Jedenfalls hatte er sich mit den beiden kurz unterhalten. Vogt
hatte dabei einen ganz umgänglichen Eindruck auf ihn gemacht, die Keller
dagegen weniger, aber das machte sie ja nicht gleich zur Diebin. Eine so völlig
neue Umgebung konnte einen Menschen schließlich verschüchtern. Während die
anderen noch wie wild diskutierten, kam Peter zu dem Schluss, dass Diskussionen
hier zu nichts führten – Handlungen mussten her.
Doch er konnte nicht ermitteln, wie im „Tatort“, er hatte
keine Ahnung, wie man Fingerabdrücke nahm und selbst wenn er welche fand – was
brachte denn das? Er besaß keine Vergleichsabdrücke. Und Videoüberwachung gab
es nur im Eingangsbereich und am Parkplatz, aber er war sich sicher, dass es
keiner der Besucher gewesen war, immerhin waren die Diebstähle an zwei
aufeinanderfolgenden Tagen erfolgt und da dies hier ein Altenheim war, gab es
keine Besucher, die derart oft kamen. Aber etwas anderes konnte er tun. Er
konnte dem Dieb eine Falle stehlen, und jetzt war der perfekte Zeitpunkt, sie
in Gang zu bringen, denn alle, die dazu in der Lage waren, sich zu bewegen –
immerhin 38 von 70 Einwohnern – saßen grade hier an diesem Tisch und führten
eine mehr oder weniger angeregte Diskussion (die Meyer fragte nur immer wieder
wann denn endlich das Frühstück, dass vor einer Stunde wieder abgeräumt worden
war, serviert werden würde). „Hört mal!“, verschaffte er sich Gehör und erhielt
selbiges auch sofort – er sprach so selten, dass es einer kleinen Sensation
glich, wenn er überhaupt die Stimme erhob. „Findet ihr nicht, wir sollten
vorsichtiger werden? Wenn es hier einen Dieb gibt, dann sollten wir doch
unseren Schmuck besser wegschließen, oder?“, fragte er. Eine Sekunde wirkten
alle überrascht, aber dann schnatterten sie sofort wieder los und kamen zu dem
Schluss, dass das eine sehr gute Idee sei. Auf einigen Gesichtern konnte er ob
des Vorschlags sogar Sympathie entdecken – offenbar hielten ihn doch nicht alle
für den Dieb – erst recht nicht nach diesem Ratschlag. Er fuhr auch gleich
fort:„Ich selbst habe noch ein bisschen von dem Schmuck meiner Frau – ziemlich
wertvoll, ich glaube, ich werde den Safe in meinem Zimmer zum ersten Mal
benutzen, noch liegt das alles so offen rum. Ich werde gleich mal Schwester
Andrea nach der Zahlenkombination für meinen Safe fragen, die habe ich schon
wieder vergessen.“ Die anderen nickten zustimmend und alle zusammen machten sie
sich auf den Weg in ihre Zimmer, vorbei an der etwas erstaunt blickenden
Schwester Carlotta, die eigentlich grade dabei war, Kaffee einzuschenken.
Als die misstrauische Person, die Peter war, hatte er
seine Wertgegenstände schon längst in dem in den Schrank integrierten Safe
deponiert, auch den Zugangscode hatte er nicht vergessen. Doch nun holte er
einen Teil des Schmucks hervor und legte ihn gut sichtbar auf den Tisch, schuf
noch ein bisschen Unordnung, damit es so aussah, als habe er alle diese Dinge
grade erst hervorgesucht und ging dann ins Bad, ohne jedoch das Licht
anzuschalten. In der Dunkelheit, die Türklinke in der einen Hand und den
Spazierstock in der anderen, da der Rollator nicht ins Bad passte, wartete er,
ob der Dieb seinen Köder geschluckt hatte. Mit Bedacht hatte er behauptet, erst
mit Schwester Andrea – als der Chefin der Einrichtung immer sehr beschäftigt –
reden zu müssen, sodass er Täter in dem Glauben bleiben konnte, er habe ein
wenig Zeit, rasch seinen Schmuck zu stehlen.
Und in der Tat – lange musste er nicht warten. Bald schon
stürmten eilige Schritte sein Zimmer, hörte er, wie Dinge durchgesehen wurden
und dann das verräterische Klimpern von Schmuck, der gegeneinander schlug, als
er hochgehoben wurde. Er riss die Türe auf, taumelte, blinzelte gegen das Licht
und humpelte dann, auf den Stock gestützt, so schnell seine alten Beine ihn
tragen konnten in sein Zimmer um den Dieb zu überraschen.
„Schwester Carlotta!“ Er
musste zugeben, selbst überrascht zu sein. Er hatte mit einem Heimbewohner
gerechnet, das Personal hatte er nie verdächtigt. Schwester Carlotta blickte
auf, eine Sekunde lang wirkte sie überrascht, aber dann gewann das gewohnt
professionelle Lächeln überhand. „Ah, Herr Fischer!“, sagte sie, „Ich dachte,
sie wollten Ihren Schmuck wegschließen, da dachte ich, ich räume ihn schon
einmal fort – haben Sie die Kombination für Ihren Safe in Erfahrung bringen
können?“ „Ja…“, murmelte er und gab ihn geistesabwesend ein. Er konnte nicht
glauben, dass es so schief gegangen war. Natürlich, der Dieb würde die Falle
gewittert haben und nun war Schwester Carlotta einfach nur hilfreich und er –
er stand hier, in den Stock in der Hand und war drauf und dran gewesen, ihr mit
selbigem eins überzuziehen. „Danke, Schwester Carlotta.“, sagte er schwach und
sank aufs Bett.
In diesem Augenblick betrat
Theißen das Zimmer, entdeckte Peter auf dem Bett. „Alles in Ordnung?“, fragte
er. Peter war so erstaunt über seine offensichtliche Fehlspekulation, dass er
nicht die Kraft besaß, ihn rüde fortzuschicken. Also schwieg er und Theißen
fragte gut gelaunt:„Schwester Carlotta, gibt es schon Mittagessen?“ Peter war
froh, dass er seine Diebestheorien nicht ansprach. „Ich denke schon.“, sagte
sie wage und räumte den Schmuck mit hastigen Gesten in den Safe. Da stürmte Vogt
– so gut man mit 68 Jahren eben von „stürmen“ sprechen konnte – ins Zimmer und
blickte von Schwester Carlotta zu Peter und Theißen auf dem Bett und dann
wieder zurück. „Hat funktioniert, oder?“, sagte er grimmig. Peter verstand
nicht, aber Theißen blickte auf und fragte:„Dann habt ihr ihn gefunden?“ „Ja,
alles in der Handtasche.“, lautete die Antwort und Peter bemerkte, dass er der
einzige zu sein schien, der nicht verstand was vor sich ging, denn Schwester
Carlotta schien zu wissen, wovon die Rede war. Sogleich erhob sie die Stimme
und fragte die beiden Männer in einem wenig höflichen Tonfall, was sie in ihrer
Tasche zu suchen hätte.
Auf ihre Worte lächelten die
beiden Männer grimmig und Peter bemerkte, dass sich vor seiner Zimmertür immer
mehr Menschen ansammelten, die verfolgten was vor sich ging. „Das beweist doch
nur, dass wir Recht haben.“, sagte Theißen schmunzelnd, „Sie waren es, die den
Schmuck gestohlen hat, darum waren Sie hier, nicht wahr? In Ihrer Handtasche
waren die Dinge, die heute Morgen gestohlen wurden! Wir rufen jetzt die
Polizei!“ Und damit zog die Schar alter Leute, Peter in ihre Mitte nehmend, ab.
„Was ist denn hier los?“, fragte Peter, während Vogt im Zimmer von Schwester
Andrea, die noch gar nicht verstand, was vor sich ging, die Polizei
benachrichtigte. „Schwester Carlotta war die Diebin, deine Falle hat
funktioniert, sie wollte deinen Schmuck grade stehlen und den anderen haben wir
bei ihr gefunden.“ Peter öffnete den Mund, schloss ihn dann wieder, schüttelte
den Kopf und öffnete den Mund erneut:„Ihr habt es gewusst?“ „Na hör mal! Wir
sind vielleicht von gestern aber doof sind wir nicht!“, scholl es zurück. Da
erst ging Peter auf, dass er Recht gehabt hatte und dass sie ihm geholfen
hatten, es zu beweisen. Er war beinahe gerührt und zum ersten Mal seit seine
Frau gestorben war, hatte er das Gefühl, von Menschen, die ihn mochten umgeben
zu sein.
Als wenig später die Polizei
eintraf und ihre Aussagen aufnahm, sagte schließlich auch Schwester Carlotta
aus. Sie bekomme nicht ausreichend Gehalt und die alten Leute bräuchten den
Schmuck doch eh nicht mehr. Die Polizei nahm sie mit und im Altenheim kehrte
langsam wieder Ruhe ein. Peter wollte sich auf sein Zimmer zurückziehen, Ruhe
haben. Doch da rief jemand seinen Namen. „Peter!“ Er wandte sich um. Da saßen
Theißen und Vogt vor einem Brett „Mensch ärger dich nicht“ und schauten ihn an.
„Spielst du eine Partie mit?“, fragten sie. Peter überlegte nicht lange. Er
lächelte, setzte sich zu ihnen und nahm die Würfel zur Hand.